Der Mann ist eine Instanz in Nordhausen – in vielerlei Hinsicht.
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Der Mann ist eine Instanz in Nordhausen – in vielerlei Hinsicht.

Nordhausen. Mitteldorf? Das ist doch der Schauspieler. Mitteldorf? Das ist doch der Politiker. Mitteldorf? Das ist doch der Moderator. Am Sonntag wird er auch noch Kommentator. 99 Vereine soll er ansagen, in einem Festumzug mit 2200 Mitwirkenden. „An dem Abend werde ich völlig breit sein.“ Das weiß Matthias Mitteldorf (52) schon jetzt.

„Ich habe mein politisches Engagement mindestens schon zehnmal bereut“, sagt der streitbare Matthias Mitteldorf. Dennoch kommt der Linke von der Lokalpolitik nicht los. Seine größte Liebe aber bleibt das Theater. Foto: Marco Kneise

Mitteldorf, das ist der Mann mit den vielen Gesichtern. Und doch so offen wie ein Buch. Grundehrlich, nicht hintenrum. Mit fast jedem hat er sich schon mal gebalgt, vor allem mit den Intendanten am Theater. Denn die waren zeitweise seine Arbeitgeber. 1991 bis 2002 gehörte er zum Ensemble. 50 Mal spielte er den Zahnarzt im „Kleinen Horrorladen“, 76 Vorstellungen von „Frank & Stein“ endeten im großen Haus mit immer noch 300 Zuschauern. Zahlen, auf die heute keine Produktion in Nordhausen mehr kommt.

„Das Theater“, sagt der studierte Schauspieler, „ist meine zweite Heimat“. Und doch ging er in Unfrieden. Weil er sich mit Intendantin Monika Pirklbauer zerstritt. Intrigant sei sie gewesen, urteilt Mitteldorf. „Sie wollte das Schauspiel abwickeln.“ Und damit ihn, den Vollblutschauspieler.

Der Vater Wessi, wie er sagt, das Kind unehelich, wuchs er als einziges Kind seiner Mutter in Waren an der Müritz auf. „Mutter wollte, dass ich Klarinette lerne“, lächelt er. Doch das sei nicht sein Ding gewesen. Früh, vielleicht in der fünften Klasse, hatte er einen anderen Plan: Schauspieler zu werden.
Vier Jahre freiwillig zur Nationalen Volksarmee

Was folgt, ist ein geradliniger Weg, wie man ihn bei ihm nicht vermutet. Kleine Moderationen in der Schule, Talentförderung an der Schauspielschule Rostock, schließlich die erfolgreiche Bewerbung an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin.

Einzig als er dieses antreten will, tut er etwas völlig Unerwartetes. Er geht zur Armee. Vier Jahre. Er, den man heute als Pazifisten bezeichnen würde.

Mitteldorf macht keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung. „Kommunist ist für mich kein Schimpfwort“, sagt er. „Allerdings“, schiebt er gleich hinterher, „nicht so, wie ihn Mielke oder der Machthaber von Nordkorea verstehen“. Er ist Idealist, will mit seinem Offiziersdienst dem Staat etwas zurückgeben. Und das wenige Jahre, bevor selbiger zerbricht.

Mitteldorf gehört zu denen, die an einen dritten Weg glauben, an einen sozialistischen Staat mit menschlichem Antlitz, ohne Wiedervereinigung. Er ist auf der größten Demo am 4. November 1989, mit Christa Wolff, Lothar Bisky und Jan Josef Liefers, sichert die Sprechertribüne ab. Fünf Tage später fällt die Mauer. „Ich stand da und habe geheult, aber nicht vor Freude.“

Das Studium bringt er zu Ende und beginnt sein zweites, sein Nordhäuser Leben. Es ist wohl die Frau, die ihn hierher lenkt. Die kommt aus Gräfentonna, deren Vater aus Nordhausen. Er kennt es ein klein wenig. Und sagt ja, als Theaterintendant Hubert Kross ihn einstellen will.

„Was heißt hier Liebe“ ist sein erster Aufschlag. Es folgt eine Premiere nach der anderen. Eine Wahnsinns-Zeit für den jungen Mann, der sich politisch von der SED losgesagt hat. Ein Jahr später steht er wieder auf der Matte, holt sich das PDS-Parteibuch. 1994 schon zieht er in den Stadtrat ein. Und sitzt dort seitdem. Das heißt, er sitzt nicht nur da, sondern stellt auch manche unbequeme, zuweilen vielleicht unbeholfene Frage. Mitteldorf streitet und versöhnt sich. Um Persönliches geht es ihm selten.

Die Frau, die ihn gen Nordhausen lenkte, bleibt in Berlin. Mit dem einzigen Kind, einer Tochter. Viel Zeit, die Rolandstadt kennen und lieben zu lernen. Und eine neue Frau. Die er allerdings nicht lange hat. Erst die dritte Ehe wird länger andauern. Mit einer, die Kultur und Politik wie er gleichermaßen lebt: Katja Mitteldorf. Linke, Stadträtin, Landtagsmitglied.

Das Künstlerleben hat Matthias Mitteldorf nie abgelegt. Nach dem Absturz 2002 moderiert er weiter, verdingt sich als Freier. Auch in Film und Fernsehen. Kleine Rollen, nichts Großes. Als Lars Tietje 2004 das Theater übernimmt, darf er wieder auf die Bretter. Bis heute gehört er zu den bekanntesten Akteuren dort. Die Nordhäuser lieben ihn.

Auch deshalb sprach ihn Rosemarie Hilger vom Kulturamt der Stadt an, den Umzug zu kommentieren. Nordhäuse-risch, das hat er bis heute nicht gelernt, aber sein Herz klopft für die Stadt, die er 2002 nicht verlassen konnte.

Thomas Müller / 10.06.17

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